30 Jahre Wiedervereinigung – Grund zum Feiern?

Heute vor 30 Jahren fand die Wiedervereinigung statt. Wie es sich für ein solches Jubiläum gehört, feiert sich die BRD nicht nur selbst und lässt uns in Ruhe damit – es wird auch überall verkündet, warum denn auch alle mitfeiern müssten. Wir denken, dass diese 30 Jahre kein Grund zum Feiern sind und haben dazu ein paar Gedanken gefasst.

Mit dem Zerfall des „realexistierenden Sozialismus“ von 1989/90, der sich von Berlin bis Moskau erstreckte, schien der Kommunismus endgültig in der Versenkung der Weltgeschichte verschwunden. Der Liberalismus proklamierte mit ebenso großer Siegessicherheit wie geistiger Verwahrlosung das ›Ende der Geschichte‹. So sehr die sogenannte Wiedervereinigung eine Niederlage der sozialistischen Bewegung ist, so wenig war sie auch ein Sieg der beherrschten Klasse, die im realexistierenden Sozialismus trotz allen Zumutungen ein potentielles Sprungbrett aus der kontinuierlichen Katastrophe vorfinden konnte, die sich Kapitalismus nennt. Stattdessen verloren die Arbeiter_innen in West und Ost eine mögliche gemeinsame, freie und wirklich demokratische Zukunft im Sozialismus.

Der jährlich wiederkehrende nationalistische Freudentaumel um die harmonische Einheit von Nation und Volk, der seitdem aus allen medialen Kanälen schallt, verschleiert deshalb auch, dass ein friedliches Miteinander von Arbeiter_innenklasse und Kapital in der Klassengesellschaft nicht möglich ist. Wie wahr erscheinen  heute die Worte von Ronald Schernikau auf dem letzten Kongreß der Schriftsteller der DDR, dass wer „die Buntheit des Westens will“, auch die „Verzweiflung des Westens kriegen werde“, dass wer Bananen essen will, Menschen wird verhungern lassen müssen? So kam es dann auch.

30 Jahre Wiedervereinigung bedeuten deshalb auch:

  • 30 Jahre Treuhand-Gesellschaft, die die Volkswirtschaft der DDR verscherbelte, die Betriebe abriss und für einen Anstieg der Arbeitslosen auf 14,2% sorgte.
  • 30 Jahre Verschlechterung der Frauen*rechte im Osten, statt Verbesserungen für die Frauen* im Westen: als Erstes wurden die Frauen* aus den Betrieben entlassen, die Krippen wurden abgerissen, das Abtreibungsrecht verschärft, und die Herrschaft der Männer über die Frauen verschlimmerte sich.
  • 30 Jahre Rassismus und Naziterror: es ist nicht so, dass es in der DDR keine Nazis gegeben hätte. Der Unterschied war, dass es keine faschistischen Gruppen auf höheren politischen Ebenen gab, wie heutzutage im Bundestag in der Afd organisiert(die Demokratie der BRD hat sie umgekehrt gerade zur Blüte gebracht – wenn man schon unbedingt von „blühenden Landschaften“ sprechen will). So mörderisch, wie sie nach der Wiedervereinigung losgeschlagen haben, so mörderisch waren sie davor noch nicht. Dazu kommt heute die AfD, die im ausverkauften Ostdeutschland gut Fuß fassen konnte, aber maßgeblich von „Wessis“ mit aufgebaut wurde.
  • 30 Jahre neue Kriegsgefahr: das geeinte Deutschland konnte wieder Krieg über die Welt bringen – Das Eingreifen der Bundeswehr in den Kosovokrieg 1999, der erste deutsche Kriegseinsatz nach dem Sieg über den deutschen Faschismus, im Sinne des „wiedergutgewordenen Deutschlands“ gerechtfertigt durch das eigene Verbrechen des Holocaust („wegen Auschwitz“) war eine Folge der Einheit.
  • Und 30 Jahre Sozialabbau in West und Ost: mit der Eingemeindung der DDR fiel auch der Konkurrent weg, gegen den die „soziale Marktwirtschaft“ gewinnen wollte. „Sozial“ ist heute nicht mehr viel an der ach so großartigen Marktwirtschaft, das bekommen auch wir „im Westen“ jeden Tag zu spüren.

30 Jahre deutsche Wiedervereinigung sind kein Tag der Freude, sondern ein Tag der Trauer um das verlorene Potential und ein Tag, an dem wir uns Gedanken darüber machen müssen, wie wir eine lebenswerte Zukunft der Menschheit gegen Wirtschafts-, Corona- und Klimakrise erkämpfen können.

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