Arbeit während der Pandemie – Teil 4: Einzelhandel

Als linke Arbeiter_innen sind wir sehr daran interessiert, welche Auswirkungen die Covid-19-Pandemie auf unser Arbeitsleben hat. Für uns ist der Austausch darüber ein wichtiger Schritt hin zu einer Praxis, mit der wir uns gegen die Zumutungen von Wirtschaft und Politik wehren können. Deshalb haben wir eine Umfrage unter unseren Mitgliedern und Freund_innen gestartet, um mehr darüber herauszufinden – anonym und schonungslos ehrlich.

Wenn ihr auch etwas berichten wollt, meldet euch gerne bei uns!

Heute folgt der Einzelhandel:

Fragebogen zur aktuellen beruflichen Situation während COVID-19

1. A. In welcher Branche bist du tätig und welchen Beruf übst du aus?

Studentische Aushilfskraft im Einzelhandel.

B. Was gehört zu deinen täglichen Aufgaben in deinem Berufsstand?

Eigentlich nur die Aushilfstätigkeiten – also Kasse, den Laden sauber halten und höchstens mal noch beim Sortieren der Ware helfen. Da bei uns aber wie überall im Einzelhandel starker Personalmangel herrscht, welcher dann mit billigen Aushilfskräften wie mir kompensiert werden soll, arbeite ich wie ein_e reguläre Veräufer_in. Das heißt: Lieferungen einräumen, Überblick über den Bestand verschaffen et cetera.

2. Welche Beweggründe haben dich zu deinem Beruf verleitet?

Ich muss mir meinen Lebensunterhalt finanzieren: aus dem BAföG falle ich knapp raus, meine Eltern können mich aber nicht „durchfüttern“. In den Einzelhandel bin ich aufgrund eines Zufalls gelangt. Geblieben bin ich dort nur aufgrund meiner Kolleg_innen vor Ort, ansonsten hätten mich die schlechten Arbeitsbedingungen schon längst nach einem besseren Job suchen lassen.

3. Wie hat dir dein Beruf bislang (vor COVID-19) gefallen?

Auch wenn ich sage, dass die Arbeitsbedingungen schlecht sind, heißt das nicht, dass der Job nicht auch Spaß machen kann. Die Arbeit an sich ist abwechslungsreich und wir halten in der Belegschaft auch unter schlechten Bedingungen zusammen – die Erfahrungen von Solidarität und Unterstützung sind wirklich etwas ganz Besonderes.

4. Was bewegt dich an deinem Beruf am meisten?

Ich freue mich schon, wenn Kund_innen mit speziellen Wünschen zu uns kommen und ich dann etwas passendes aus dem Sortiment anbieten kann. Und ich mag unsere Stammkundschaft.

5. Wie zufrieden bist du momentan mit deinem Beruf?

Mittelmäßig – er könnte im Prinzip echt schön sein (so schön wie Lohnarbeit halt sein kann), wenn die Arbeitsbedingungen besser wären oder die Mitarbeiter_innen wenigstens genauso viel für das Unternehmen zählen würden wie der Umsatz.

6. A. Wie hat sich dein Arbeitsalltag durch Corona verändert: Welche Sicherheitsregelungen gibt es bezüglich COVID-19 für den Schutz der Mitarbeitenden (und falls Kund:innen oder Patient:innen, dann für diese?)

Wir haben derzeit Einwegmasken und seit kurzem auch Mehrwegmasken. Ansonsten Schilder mit der Bitte um Abstand und ein nutzloser Spuckschutz an einer Seite der Kasse (deswegen nutzlos, weil der Rest offen ist).

B. Wie bewertest du die Sicherheitsmaßnahmen an deiner Arbeitsstelle?

Die Sicherheitsmaßnahmen wurden dann eingeführt, als es gesetzliche Vorgaben gab, und zwar auch immer so, dass es keine Grundlage für eine Klage gibt – mehr aber auch nicht.  Vom Arbeitgeber kam nur das allernötigste. Im Gegenteil wurden Mitarbeiter_innen vor Ort durch die Zentrale kritisiert, wenn sie eigene, bessere Schutzmaßnahmen für uns und die Kund_innen umsetzen wollen. Sicherheit sieht anders aus.

7. Hat sich deine Arbeitsbelastung (z. Bsp. Aufgaben/Zeit, Stress und Schwierigkeit der Aufgaben, Arbeitszeit) verändert?

Auf jeden Fall! Die körperliche Belastung ist durch die Masken gestiegen, außerdem wurde der Andrang stärker, als die Gastronomie geschlossen war. Vor allem in den ersten Tagen der Kontaktbeschränkungen und Gastro-Schließung war die Arbeit bei uns fast nicht auszuhalten.

8. A. Hat sich deiner Wahrnehmung nach der Umgang unter den Mitarbeitenden verändert? Wenn ja, wie?

Ja, wir waren zu Beginn der Kontaktbeschränkungen definitiv gereizter als sonst, weil uns die Situation überfordert hat. Das hat sich aber recht schnell geändert und wir haben versucht uns gegenseitig bestmöglich zu unterstützen und aufeinander zu achten.

B. Hat sich der Umgang mit deiner Vorgesetzten Person verändert? Wenn ja, wie?

Ja, definitiv: wie ich oben schon gesagt habe, waren die Schutzmaßnahmen aus unserer Sicht unzureichend, für eigene Ideen wurden wir aber kritisiert und zurechtgewiesen, dass wir ja nichts zu entscheiden hätten. Konkrete Nachfragen zum Infektionsschutzkonzept wurden mit dem Verweis darauf, dass schon alles erklärt worden wäre abgetan oder direkt ignoriert.
Das ist für sich allein eigentlich schon ein Skandal, ich weiß aber, dass mein Arbeitgeber und meine Branche da nicht alleine ist, sondern solche Zumutungen über verschiedene Branchen hinweg passiert sind.

C. Empfindest du eine veränderte Wahrnehmung deines Berufes in der Gesellschaft, persönlich, und/oder unter deinen Mitmenschen?

Ja, schon ein bisschen. Es haben sich immer wieder Leute dafür bedankt, dass wir die „Stellung halten“ und weiterhin offen haben, damit alle Menschen mit Lebensmitteln versorgt werden. Gleichzeitig gab es aber oft auch Fälle, wo kein Verständnis dafür gezeigt wurde, dass eben nicht so viele Leute auf einmal in den Laden dürfen, wir die Maskenpflicht konsequent durchsetzen und das Einkaufen eben länger als normal dauert.

Und naja, eine besondere Rolle bei der Wahrnehmung durch die Gesellschaft hat noch die Politik gespielt: Es hilft mir nichts, wenn sich Angela Merkel und die Bundesregierung bei uns mit warmen Worten für unsere Arbeit bedanken, gleichzeitig aber der Einzelhandel seit Jahren auf schlecht bezahlten Jobs aufbaut, unsere Arbeitgeber in Massen Tarifflucht begehen und der Mindestlohn nicht zum Leben reicht.

9. A. Hat sich deine finanzielle Situation durch die aktuelle Corona-Krise verändert? Wenn ja, wie?

Da hat sich nichts verändert, immer noch Mindestlohn, und Zuschläge gabs für uns auch nicht.

B. Falls sich deine finanzielle Situation durch die Krise negativ verändert hat: Wie bewältigst du die Situation/den Engpass?

10. A. Wie zufrieden bist du mit den aktuellen Corona-Beschränkungen und Lockerungen in Bezug auf deinen Berufsstand?

Die Beschränkungen wurden meiner persönlichen Meinung nach zu spät eingeführt – nämlich erst dann, als auch die Wirtschaft in Gefahr war, weil plötzlich drohte, dass sich zu viele Arbeitskräfte gleichzeitig infizieren. Das war aber zu spät, um die Pandemie noch im Keim zu ersticken. Wenigstens wurden dann aber Maßnahmen eingeführt, und ich habe vor den jetzt stattfindenden Lockerungen durchaus Angst: wenn es keine gesetzlichen Verpflichtungen für zum Beispiel Schutzmasken oder eine festgelegte Höchstzahl von Menschen in den Läden mehr gibt, glaube ich nicht, dass mein Arbeitgeber selber noch irgendwie für Schutz sorgt.

Wie schon gesagt, auch jetzt ist nur das allernötigste an Schutzmaßnahmen gegeben, und einen Betriebsrat um mehr Schutz für uns und die Kundschaft durchzusetzen haben wir nicht. Generell habe ich den Eindruck, dass die Schutzmaßnahmen für unseren Arbeitgeber eher lästig waren, weil sie Kosten verursacht haben.

B. Welche Maßnahmen würden deine Arbeitssituation verbessern und dir die Arbeit erleichtern? Was wünscht du dir von der Politik und deinem/r Arbeitgeber/in in Bezug auf deine Arbeit und Branche?

Das ist eigentlich recht einfach: Im Einzelhandel haben immer weniger Beschäftigte einen Tarifvertrag, die Unternehmen begehen Tarifflucht im großen Stil, und betriebliche Mitbestimmung über Betriebsräte ist vielerorts auch ein Fremdwort. Wenn man sich auflehnt droht die Kündigung, und wenn Belegschaften „zu teuer“ werden ist der Jobabbau nicht weit.

Deshalb braucht es unbedingt mehr Gewerkschaftsarbeit in den Betrieben und politischen Druck auf die Unternehmen – die Beschäftigten im Einzelhandel haben mehr verdient als Klatschen und nette Worte. Mein Arbeitgeber hat mir in den letzten Monaten deutlich gezeigt, dass Wünsche nichts helfen, sondern nur gemeinsamer Widerstand und Solidarität unter den Beschäftigten.

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